CCC-Stellungnahme zur Jugendschutz-Anhörung

1. Fragestellung zu Relevanz des Problems

Welche Medien werden unter den Begriffen "Neue Medien", "Multimedia" zusammengefasst? Wo kommen Kinder und Jugendliche in erster Linie mit den neuen Medien in Kontakt: zu Hause, in der Schule, während der Ausbildung und im Freizeitbereich? Welche Altersgruppen nutzen multimediale Dienste? Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede? Wie sieht die zeitliche Nutzung von multimedialen Angeoten aus?

Objektiv: Entscheidende Eigenschaft neuer Medien ist ihre Vernetzung (Zusammenwuchs von Computer und Telefonnetz) und nicht der Begriff "Multimedia".

Die Omnipräsenz elektronischer Netzwerke als Infrastruktur des zukünftigen gesellschaftlichen Lebens ist nur noch eine Frage der Zeit.

Anmerkung:

Die Fähigkeit des Umgangs mit den neuen Medien (siehe Medienkompetenz) muß verstärkt auch jenen Menschen vermittelt werden, die noch keinen Zugang zur Technologie haben (Arbeitslose, alte Menschen, minder Betuchte). Frauen haben in der Regel höhere Hemmschwellen und weniger Spieltrieb um sich gleichermaßen intensiv mit der Technologie zu beschäftigen.

- Wie viele Kinder haben einen eigenen Computer oder können den Familien- computer benutzen? Wie sind diese Computer ausgerüstet? Wie hoch sind im Durchschnitt die Investitionen? Welche Kosten entstehen bei der Nutzung?

Zahlenmaterial über die Ausstattung von Kinderzimmern bzw. Familienhaushalten mit Computern liegt uns nicht, aber sicherlich anderen Stellen (Jugendzeitungen) vor. Für rund 2000.- DM ist inzwischen ein netzfähiger PC (bunt und mit Ton: "multimedia") zu erwerben. Bei den Nutzungskosten überwiegt im Moment noch der Anteil der Kommunikations-Verhinderungsabgaben an die Telekom gegenüber den eigentlichen Dienste-Gebühren.

Während die Online-Dienste noch mit mehreren DM pro Stunde ihre Dienstleistung berechnen, sind vielerorts Internet-Provider mit einer pauschalen monatlichen Gebühr um die 30.- DM und weniger verfügbar.

- Welche Arten von Spielen gibt es, die die Multimedia-Möglichkeiten des Computers nutzen? Wie sind diese inhaltlich und strukturell zu bewerten? Wer stellt sie her und verbreibt sie mit welchen Marketingstrategien? Wie stellen sich die Hersteller von Computerspielen und multimedial gestütztem Spielzeug die Kinderzimmer von morgen vor?

Fällt nur bedingt in unseren Beschäftigungsbereich. Unsere Vorstellung vom Kinderzimmer von morgen beinhaltet den ungehinderten Zugang zu Technologie, Information und allem was helfen kann, diesen Planeten zu verstehen.

- Gibt es bei den Onlinediensten besondere Programmangebote für Kinder und Jugendliche? Werden solche geplant, und wie sollten diese gestaltet sein?

Zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bzw. kaum. Wünschenswert wären niederschwellige Zugangsmöglichkeiten, die den Benutzern (unabhängig von der Altersgruppe) die (mit-)Gestaltung ermöglichen und nicht die Erstellung von Unterhaltungsangeboten, die nur noch passiv konsumiert werden können. Nur durch Kommunikation und nicht durch Konsum können die für das lernen notwendigen Erfahrungen gemacht werden.

2. Fragen zu den Gefahren der neuen Medien für Kinder und Jugendliche

Welche Schlussfolgerungen werden aus den Untersuchungen gezogen, die die Angebote im Bereich der neuen Medien unter den besonderen Gesichtspunkten Pornographie, politischer Extremismus, Gewaltdarstellungen quantitativ und qualitativ analysieren?

In Unkenntnis hier womöglich vorrausgesetzter Kenntnis offizieller Untersuchungen kann die Frage nur im Hinblick auf eigene Untersuchungen im Bereich des Internet beantwortet werden.

Gewalt- und Pornographiedarstellungen sind - gemessen am Verhältnis zu sonstigen Angeboten - eher gering vertreten (1-2%). Öffentliche Diskussions- foren zu Sexualität in allen Formen sind ebenso wie entsprechendes Bildmaterial verfügbar (ähnlich: Kiosk). Gewaltdarstellungen sind - gemessen am Verhältniss zu dominierenden anderen Medien (Fernsehen, Printmedien) ausserordentlich gering bis gar nicht vertreten.

Politischer Extremismus im Sinne von Foren politischen Gedankenaustauschs aller Fraktionen sind vorhanden und werden nicht zensiert. Politische Rand- gruppen sind ebenso wie konventionelle im Netz präsent.

Insgesamt geht von diesem Zustand keine Gefahr aus. Insbesondere für Kinder, Jugendliche und erwachsene Menschen ist der Zuwachs an politischer Auseinandersetzung und Streitkultur zu begrüssen. Die Präsenz von Extremen (z.B. politischen Randgruppen oder absurden sexuellen Abarten) fördert eher die Auseinandersetzung, als daß sie diese gefährdet.

Das Niveau der Diskussionen ist teilweise beklagenswert und könnte durch die Teilnahme entsprechend qualifizierter Institutionen gefördert werden.

- Gibt es darauf aufbauend besondere Studien, wie speziell multimediale Pornographie-, Extremismus- und Gewaltdarstellungen auf Kinder und Jugendliche wirken?

Nicht bekannt.

- Bestehen durch Multimedia-Angebote im Vergleich zum Fernseh- und Videobereich verstärkt Möglichkeiten, die Realitäten verschwimmen zu lassen oder Handlungsabläufe in der virtuellen Welt nach Wunsch beliebig zu verändern?

Nein, sogar eher weniger als bei anderen Medien. Im Vergleich zum Fernsehen muß sich der Medienbenutzer wesentlich mehr bemühen, entsprechende Dar- stellungen zu konsumieren. Ein Fernsehprogramm lässt sich auch von einem (klein-)Kind aktivieren und läuft dann. Über das Internet übertragene Bilder müssen zunächst gezielt gewählt, dann auf den eigenen Computer geladen werden und können erst dann betrachtet werden.

- Welche Gefahren sehen Sie für Kinder und Jugendliche aufgrund der zunehmenden Herstellung von kinderpornographischen Darstellungen mit dem Ziel der Verbreitung im Internet?

Pornographie, die Sex mit Kindern darstellt wird nicht explizit für das Internet hergestellt, sondern ohnehin produziert und das Internet höchstens als Transportmedium zum versenden benutzt.

Schon aus technischen (Bandbreite) und wirtschaftlichen Gründen (fehlendes Abrechnungssystem) ist zu vermuten, daß der Großteil des Geschäfts mit derartigen Darstellungen auf anderen Wegen stattfindet.

Wir sehen keine zusätzliche Gefahr für Kinder durch die Informationsfreiheit des Internet missbraucht zu werden. Im Gegenteil fördert die Auseinandersetzung mit diesem Thema, das in der Gesellschaft eher als Tabuthema unbehandelt bleibt, eine Bewußtseinsförderung.

Ein gutes Beispiel für den Anstieg öffentlichen Bewußtseins durch Informations- freiheit ist die Sekte Scientology. Nachdem im Internet sekten-interne Materialien aufgetaucht waren versuchte Scientology auf rechtlichem Wege die Verbreitung zu verhindern. Nach einer umfangreichen rechtlichen Auseinandersetzung wurden die Sachen zwar auf einigen Rechnern gelöscht, von anderen jedoch erst Recht kopiert und verbreitet.

Aufgabe staatlicher Stellen wäre es, Diskussionen zu fördern und zu betreuen, so daß das Selbstbewußtsein von Kindern und Jugendlichen, sich gegen Nötigung und Missbrauch zu wehr zu setzen, wächst. Im übrigen ist Kinderpornographie ohnehin weltweit verboten (siehe Weltrechtsprinzip, Sieber)

Das Problem sind die Menschen, die so etwas produzieren und diejenigen, die durch ihre Nachfrage einen Markt dafür schaffen und nicht das Transportmedium.

3. Fragen zu den Chancen der neuen Medien für Kinder und Jugendliche

- Welche Konzepte und Modellprojekte bestehen in Kindergärten, Schulen und in der Ausbildung, die den Einsatz der neuen Medien als Unterrichtsmittel vorsehen, den Unterricht ganz mit Hilfe der neuen Kommunikations- und Informationstechnologien realisieren und die den kompetenten und verantwortungsbewussten Umgang mit den neuen Medien zum Ziel haben? Welche Erfahrungen wurden dabei bisher gemacht?

Erfahrungsgemäss ist das Hauptproblem der Ausbildungsinstanzen die mangelnde Ausbildung der Ausbilder in diesem Bereich nebst den zunehmend knapperen finanziellen Mitteln. Eine Übersicht vermittelt "Neue Technologien in der Schule / Internet und Unterricht" von Anke Scholz, Göttingen 1995 (Cuvillier Verlag Göttingen).

Für die Entwicklung entsprechender Konzepte und Modellprojekte stehen wir als Ansprechpartner gerne zur Verfügung.

- Was wird von kommerzieller Seite (Buchverlage u.ä.) im Bereich des "edutainment" und "infotainment" unternommen?

Siehe vorherige Frage.

4. Fragen zu den rechtlichen, technischen und sozialen Problemen in bezug auf den Kinder- und Jugendschutz im Zeitalter der neuen Medien

Welche nationalen, europäischen und internationalen gesetzlichen Grundlagen und welche rechtlichen Entwicklungen - einschliesslich der Rechtssprechung - gibt es für die verschiedenen Bereiche der neuen Medien, auf welche Angebotsformen können sie angewendet werden? Müssen neue Gesetze geschaffen werden bzw. bestehende Gesetze verändert werden, um eventuell bestehende Lücken zu schliessen?

Die Gesetzeslage ist ausreichend - Daten auf deutschen Servern sind wie CD-Roms Schriften im Sinne von StGB und GjS (Gesetz über die Verbreitung von jugendgefährdeten Schriften). Wer entsprechende Daten in das Internet einspielt, also Texte und/oder Bilder auf einem Webserver ablegt oder im Usenet veröffentlicht, stellt entsprechende Schriften her und macht sie zugänglich. Ähnlich wie beim Brief- und Telefonwesen muß jedoch zwischen Urheber und Transporteur unter- schieden werden.

- Kann mit den bestehenden staatlichen Kontrollorganen der Kinder- und Jugendschutz auch im Multimediazeitalter gewährleistet werden, oder müssen bestehende staatliche Einrichtungen neue Kompetenzen erhalten bzw. neue Einrichtungen geschaffen werden?

Mit den bestehenden staatlichen Kontrollorgane konnten schon bislang ein Kinder- und Jugendschutz nicht gewährleistet werden. Das hat allerdings nichts mit "Kompetenzen" im Sinne von Befugnissen zu tun. Sinnvoller als die Schaffung neuer Einrichtungen bzw. Ausstattung bestehender Einrichtungen mit "neuen Kompetenzen" erscheint uns daher die intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema im Sinne einer öffentlichen Diskussion und Ursachenforschung. Die Verantwortung liegt schließlich bei der Gesellschaft und somit bei ihren Mitgliedern. Die staatlichen Organe sollten ihre Aufgabe wesentlich intensiver wahrnehmen, dem Einzelnen seine Verantwortung verständlich zu machen und durch dieses Verständniss letztlich Mitverantwortung für seine Umwelt zu übernehmen. Gerade die neuen Medien bieten hierfür neue Möglichkeiten.

- Gibt es technische Hardware- oder Software-Möglichkeiten, um den Missbrauch von Multimediaangeboten durch Kinder und Jugendliche zu verhindern? Über welche technischen Gegebenheiten sollten die staatlichen Kontrollorgane verfügen, um eine annährend effektive Kontrolle zu gewährleisten? Wie kann technisch sichergestellt werden, dass bei einzelnen Multimediaangeboten deren Anbieter bzw. deren Urheber exakt bestimmt und damit im Bedarfsfall auch zur Verantwortung gezogen werden können?

Einer Verhinderung des Missbrauchs ist mit technischen Mitteln genausowenig zu erreichen wie eine Lösung gesellschaftlicher Probleme, die die Ursache hierfür sind.

Eine technische Sicherstellung exakten Urheberbestimmung von Angeboten ist zuverlässig nicht möglich, es verbleibt ähnlich wie beim Telefonnetz das Risiko anonymer Belästigung.

- Gibt es auf nationaler oder internationaler Ebene freiwillige Bemühungen von Multimedia-Anbietern, Kinder- und Jugendschutzaspekte zu berücksichtigen?

Was den Netzbereich anbelangt: Ja. Es hat sich eine Art "common sense" herausgebildet, der zwar mitunter nicht mit nationalen Gesetzen und religiösen Vorstellungen kompatibel ist, aber bei offensichtlich menschenverachtenden Entgleitungen (wie Kinderpornographie) auch Ächtungen zur Folge hat und sich in der Netiquette (das freiwilliges Regelwerk der Netzgemeinde) niederschlägt. Zum anderen weisen Anbieter von Online-Diensten ihre Benutzer zunehmend auf diese Netiquette hin, was wir außerordentlich begrüßen.

- Wo und wie können Kinder- und Jugendliche im Umgang mit den neuen Medien geschult werden (Stichwort: Medienkompetenz)? Wo und wie können Eltern, Erzieherinnen und Erzieher bzw. Lehrerinnen und Lehrer für die Problematik "Neue Medien und Kinder- und Jugendschutz" sensibilisiert werden? Wie können die Anbieter der neuen Medien zu mehr freiwilliger Selbstkontrolle angehalten werden?

Unter Medienkompetenz verstehen wir die Fähigkeit des Medienbenutzers, mediumsgerecht "lesen" und "schreiben" zu können. Die Begriffe sind hier jedoch in einer weitgefächerten Bedeutung zu verstehen; lesen umfasst u.a. die Fähigkeit der Informationsrecherche, Filterung etc. nebst technischen Fähigkeiten und "schreiben" nebst technischen Fähigkeiten die Beachtung des Kulturraums Internet. Näheres gerne auf Anfrage.

Lebenslanges Lernen ist gerade im Hinblick auf die neuen Medien eine Aufgabe die aktiv in Form von Erwachsenenbildung, Volkshochschulkursen und sonstigen Veranstaltungen staatliche Förderung erfahren sollte.

Da jeder Teilnehmer an den neuen Medien sowohl Empfänger wie auch Sender ist bzw. sein kann, ist eine Trennung zwischen "Anbietern" und "Empfänger" weder zeitgemäß, zutreffend noch sinnvoll.

Nur durch gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein kann insofern eine Besserung eintreten, die wiederum freie und ungehinderte Diskussion und Kommunikation vorraussetzt.

Und genau die wäre durch jede Art der Informations(fluß)beschränkung gefährdet.